ICE 1 - das Bremssystem
Das Bremssystem des ICE 1
Bei Hochgeschwindigkeitszügen müssen die Bremsen besonders gut funktionieren. An einen Ausfall des Bremssystems ist nicht zu denken. Aber auch der hohe Fahrkomfort soll erhalten bleiben, damit der Fahrgast von Bremsungen so gut wie nichts mitbekommt. All diese Anforderungen wurden durch ein kombiniertes Betriebssystem mit rechnergestützter Steuerung realisiert.
Die Hauptkomponenten sind:
- generatorische Bremse des Asynchron-Drehstromantriebs in den Triebköpfen mit Netzrückspeisung
- Scheibenbremse in allen Trieb- und Laufdrehgestellen
- Magnetschienenbremse in den Laufdrehgestellen
- Mikroprozessor-Bremssteuerung
- elektropneumatisch vorgesteuerte Druckluftbremse mit Hauptluftleitung
- Drucklufterzeugung durch Schraubenluftpresser mit Lufttrocknung
- modulare Zusammenfassung der Bremskomponenten auf Gerätetafeln
Das erste serienreife Bremssystem für den ICE 1 wurde mit Beginn der ICE-Geschichte im Juni 1991 eingesetzt. Man unterscheidet zwischen Regulierbremsungen (Betriebsbremsungen) und Schnellbremsungen. Bei dem letzten Bremstyp ist es wichtig, dass der ICE einen kurzen Bremsweg hat. Magnetschienenbremsen sorgen bei der Schnellbremsung zusätzlich zu der generatorischen Bremse und den Scheibenbremsen für ein sicheres Einhalten des Bremsweges. Der Bremsweg aus 250 km/h beträgt bei einer Betriebsbremsung 4.820 m. Bei einer Schnellbremsung sind es aus 250 km/h gerade mal 2.300 m.
Die generatorische Bremse wird bei einer Schnellbremsung zusammen mit der Scheibenbremse der Mittelwagen eingesetzt. Bei einer generatorischen Bremse wirken die Motoren als Generatoren und erzeugen beim Bremsen Strom, der wiederum in die Fahrleitung zurückgespeist wird. Die Scheibenbremsen im Triebkopf werden nur bei einem Ausfall der generatorischen Bremse freigegeben. Bei einer Schnellbremsung aus über 160 km/h wird die Scheibenbremse im Triebkopf mit konstanter Teilbremskraft, dem sog. „Blockblending“, unter Umgehung des Steuerventils zugeschaltet. Dieses Blending dient der besseren Annäherung an eine gleichmäßige Rad/Schiene-Kraftschlussbeanspruchung zwischen Trieb- und Laufachsen. Somit wird die maximal mögliche Bremsleistung ausgeschöpft. Auf die Scheibenbremse im Triebkopf muss Verlass sein.
Blick in das Drehgestell eines Triebkopfes. Links der Fahrmotor, rechts die Scheibenbremsen (2004)
Der Aufbau dieser Scheibenbremse ist leicht zu erklären: Sie besitzt zwei Vollscheiben je Achse. Da diese Bremsen kaum eingesetzt werden, konnte auf belüftete Scheiben verzichtet werden. Die Scheibenbremsen im Triebkopf haben somit eine sehr geringe Ventilationsverlustleistung. Die legierten Stahlgussbremsscheiben besitzen Sintermetallbeläge, eine Weiterentwicklung der Knorr-Bremse AG. Die Bremskraft wird über eine Doppelzange durch einen Bremszylinder mit kombiniertem Druckluft- und Federspeicherteil erzeugt. Der Federspeicherteil übernimmt zudem die Funktion als Festhaltebremse. Mit der Federspeicherbremse ist es möglich, den Zug mit maximal 14 Mittelwagen in einem Gefälle bis 12,5 ‰ festzuhalten.
Bei den Betriebsbremsungen steht die Wirtschaftlichkeit im Vordergrund. Möglichst verschleißfreie Bremsen sollen eine hohe Lebensdauer sowie eine einwandfreie Funktion besitzen - hohe Anforderungen an die Industrie. Aber auch die Scheibenbremsen sind für das Bremssystem von großer Bedeutung. Die Scheibenbremsen übernehmen die Funktion als Betriebsbremse und andererseits als Sicherheitssystem bei Schnellbremsungen.
Aber nur die Scheibenbremse im Triebkopf bringt den ICE nicht zum stehen. Deshalb hat jeder Mittelwagen im Laufdrehgestell Scheibenbremsen der Firma Knorr. Nach Berechnungen konnten für den ICE 1 Sphärgussbremsscheiben mit üblichen organischen Bremsbelägen verwendet werden. Die Handbremse wirkte über eine von der Druckluft betätigten Bremszange unabhängige, separate Zange auf eine Bremsscheibe einer Achse in einem der beiden Drehgestelle des Mittelwagens. Diese Handbremse wurde während dem Redesign entweder ausgebaut oder ist - wenn vorhanden - nicht mehr funktionsfähig.
Magnetschienenbremsen sorgen dafür, dass der ICE auch bei den ungünstigsten Verhältnissen bei einer Schnellbremsung seinen Bremsweg einhält. Bei Betriebsbremsungen wird dieses Bremssystem wegen dem schnellen Verschleiß nicht eingesetzt. Diese Magnetschienenbremsen sind jedoch vom Rad/Schiene-Kraftschluss unabhängig.
Weiterhin befindet sich im Zug ein ungebremster Laufradsatz. Dieser ist wichtig, damit das ZWG (Zentrale Weg- und Geschwindigkeitsmessung) eine schlupfunabhängige Geschwindigkeit durch Geber bilden kann. Dieser Laufradsatz befindet sich im Servicewagen, BR 803. Durch die dauerhafte Ansteuerung des Gleitschutzventils wird gewährleistet, das bei einer Betriebsbremsung dieser Radsatz ungebremst bleibt. Nur bei Schnellbremsungen erfolgt auch an diesem Laufradsatz eine Bremsung.
Das Bremssystem wird durch die Mirkoprozessor-Führerbremsanlage („HSM“) im Triebkopf gesteuert. Das System HSM ist als 19-Zoll-Baugruppenträger ausgeführt. Die HSM-Elektronik ist durch eine serielle Schnittstelle über das Zugsteuergerät, kurz ZSG, mit dem Bedienpult, dem Lichtwellen-Zugbus, dem zentralen Fahrzeugdiagnoserechner DAVID und der Antriebssteuerung verbunden. Ein weiterer Bus stellt die Verbindung zu dem separat angeordneten Mikroprozessor-Gleitschutzgerät für den Austausch von Geschwindigkeits- und Diagnosedaten her. Der Mittelwagen enthält den Baugruppenträger mit dem Namen „MGS1-SVB“, zusammen mit dem Gleitschutz und der Bremsdiagnose und der Signalverarbeitung sowie der Magnetventile zur Druckänderung in der Hauptluftleitung. (Links zu sehen die Bremsgerätetafel im Maschinenraum des 401).
Die Befehlseingabe für die Bremssteuerung erfolgt über den Bremssteller oder automatisch durch die AFB. Die Bremskraftaufteilung für die einzelnen Bremsen erfolgt durch die HSM-Bremselektronik. Damit Fehler automatisch erkannt werden und die Fehler im Anfangsstadium behoben werden können, besitzt der ICE ein Fahrzeugdiagnosesystem, dem DAVID. Die Bremssteuerelektronik liefert durch Eigendiagnose und Überwachen der Bremseinrichtungen umfangreiche Daten an den Rechner DAVID im Triebkopf und ZEUS im Mittelwagen. Der Triebfahrzeugführer bekommt sämtliche Fehler über die Displays im Führerstand angezeigt. Zudem kann an die Elektronikgeräte der Firma Knorr AG ein Service-Terminal angeschlossen werden, damit die Daten ausgelesen und Sollwerte eingegeben werden können.